Versuche einmal die Perspektive zu wechseln und dich selbst so zu behandeln, wie du einen guten Freund oder Freundin behandeln würdest. Bist du dadurch netter zu dir selbst? Nachsichtiger? Mitfühlender?
In der heutigen Arbeitswelt, die von Leistungsdruck geprägt ist, sind wir uns selbst gegenüber oft zu streng. Würdest du zu einem guten Freund oder einer Freundin sagen „dafür bist Du nicht gut genug“ oder „streng Dich doch mehr an“ oder etwas ähnliches? Wahrscheinlich nicht. Zu sich selbst ist man aber oft strenger. Vielleicht spricht man negativ über die eigenen Fähigkeiten, Leistungen oder das eigene Aussehen.
Dieser Umgang mit sich selbst kann unserer Gesundheit schaden.
Gerade in einem hektischen Arbeitsalltag steigern solche negativen Gedanken unseren Stresspegel und lassen uns dadurch schneller ausbrennen.
Um den Arbeitsalltag entspannter zu meistern und einen gesunden Umgang mit den eigenen Herausforderungen zu finden, hilft es, verständnisvoller mit sich selbst zu sein und sich mit Mitgefühl zu begegnen.
Diese Art von Mitgefühl und Verständnis im Umgang mit sich selbst nennt sich Selbstmitgefühl (engl. self-compassion). Es geht darum weniger negativ über sich selbst zu denken und zu reden, nachsichtiger und freundlicher mit sich selbst umzugehen. In einer schwierigen Situation, wenn man eine Aufgabe einmal nicht richtig erledigt hat oder seinen eigenen Ansprüchen und Zielen nicht ganz gerecht werden konnte, geht es darum, sich nicht runter zu machen, nicht zu streng und kritisch mit sich selbst zu sein, sondern sich in diesen Momenten mit Akzeptanz und Verständnis zu begegnen.
Was Selbstmitgefühl NICHT ist:
Nicht zu verwechseln gilt es Selbstmitgefühl mit:
- Selbstmitleid
- Selbstmitleid ist eine emotionale Reaktion, bei der man sich auf die eigenen Probleme fokussiert und die momentane Situation als besonders belastend oder ungerecht empfindet. Meist fühlt man sich dabei hilflos und bemitleidenswert.
- Selbstbewusstsein
- Selbstbewusstsein versteht man als das Vertrauen in sich selbst und die Überzeugung in die eigenen Fähigkeiten.
- Narzissmus
- Narzissmus ist eine Persönlichkeitsstörung, die sich durch egozentrisches Verhalten, übertriebene Fokussierung auf sich selbst, den Drang nach Bewunderung sowie mangelndes Einfühlungsvermögen für andere auszeichnet.
- Egoismus
- Während Egoismus eine absolute Priorisierung eigener Interessen ohne Rücksicht auf andere bedeutet, stellt Selbstmitgefühl die Fähigkeit dar, sich selbst liebevoll zu akzeptieren und zu unterstützen, insbesondere in schwierigen Zeiten, ohne dabei die Bedürfnisse anderer zu vernachlässigen.
Die 3 Komponenten des Selbstmitgefühls
Die Psychologin Kristin Neff begründete das Konzept des Selbstmitgefühls in der Psychologie und definierte 3 Komponenten1:
- Freundlichkeit mit sich selbst (engl. Self-Kindness)
- Dies bezieht sich auf die Fähigkeit, sich selbst mit Freundlichkeit und Verständnis zu behandeln, anstatt sich mit Kritik oder Selbstvorwürfen zu belasten, insbesondere in schwierigen oder schmerzhaften Situationen.
- Menschlichkeit (engl. Common Humanity)
- Dieser Aspekt betont die Erkenntnis, dass Schwierigkeiten und Leiden Teil der gemeinsamen menschlichen Erfahrung sind. Statt sich allein im eigenen Leid zu fühlen, erkennt man an, dass jeder Mensch Herausforderungen und Schwierigkeiten erlebt.
- Achtsames Gewahrsein (engl. Mindfulness)
- Das achtsame Gewahrsein bezieht sich auf die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Gedanken ohne Urteil und mit einer offenen, annehmenden Haltung zu betrachten. Es beinhaltet das Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment und die eigenen Empfindungen, ohne in übermäßige Identifikation oder Ablehnung dieser Empfindungen zu verfallen.
Auch wenn Selbstmitgefühl viele Facetten hat und es auch einige andere Definitionen dazu gibt, sind WissenschaftlerInnen sich über eine Sache einig: die positiven Auswirkungen von Selbstmitgefühl.
Egal ob privat oder am Arbeitsplatz, es gibt viele Aspekte, die sich durch Selbstmitgefühl verbessern.
Benefits für Dich (privat und beruflich)
Wissenschaftliche Studien haben viele interessante Benefits von Selbstmitgefühl entdeckt. Sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privaten kann ein verständnisvoller, freundlicher Umgang mit sich selbst viele, zum Teil überraschende, positive Auswirkungen für die Gesundheit, die Arbeitsatmosphäre und die eigene Leistung haben2.
Warum auch Du von mehr Selbstmitgefühl profitieren kannst:
9 Benefits von Selbstmitgefühl
- Weniger Stress und ein geringeres Burnout Risiko.
- Körper (und Geist) sind resilienter gegen Krankheiten.
- Mitarbeitende mit mehr Selbstmitgefühl empfinden eine höhere Zufriedenheit im Job.
- Selbstmitgefühl verbessert die Schlafqualität, wodurch man sich fitter fühlt und weniger müde ist im Alltag.
- Verständnisvoll mit sich selbst zu sein steigert die eigene Leistung im Job, macht effizienter, innovativer und man fühlt sich weniger erschöpft am Ende des Arbeitstages.
- Selbstmitgefühl verbessert auch die Beziehungen zu KollegInnen und Vorgesetzten, denn mehr Selbstmitgefühl bedeutet meist auch mehr Mitgefühl für die Mitmenschen.
- Bessere Führung – Führungskräften, die mit sich selbst freundlich umgehen wird eine effektivere/bessere Führung zugeschrieben, so die Bewertung von Mitarbeitenden3.
- Selbstmitgefühl kann uns auch vor negativen Erfahrungen bzw. deren potenziell negativen Auswirkungen schützen und wir fühlen uns eher in der Lage für uns selbst einzustehen und etwas gegen, z.B. schlechte Behandlung am Arbeitsplatz, zu unternehmen.
- Wer mehr Mitgefühl für sich selbst hat ist außerdem meist weniger einsam und entwickelt seltener eine Depression.
Rundum hat Selbstmitgefühl also in vielen Bereichen positive Auswirkungen, egal ob im Sozialen, bei der Gesundheit oder Performance. Diese Benefits lassen sich übrigens auch im Privaten bemerken.
Also wie können wir unser Selbstmitgefühl steigern?
5 praktische Tipps zur Steigerung deines Selbstmitgefühls
Mehr Selbstmitgefühl zu entwickeln ist ein wichtiger Schritt für unser Wohlbefinden. Hier sind einige wissenschaftlich basierte Tipps, die dabei helfen können:
1. Freundlicher zu dir selbst sein – versuche mit dir selbst umzugehen, wie du mit einem guten Freund oder Freundin umgehen würdest. Sei verständnisvoll und kultiviere eine freundliche innere Stimme.
- Übung: Brief an Dich
- Überlege dir eine Herausforderung, ein Problem, einen Fehler, der dich gerade beschäftigt.
- Schreibe einen kurzen Brief an Dich, mit freundlichen Worten, wie du mit dieser Schwierigkeit umgehen solltest. Schreibe dabei so, als ob du an einen Freund schreiben würdest, der sich in dieser schwierigen Situation befindet.
- Verwende mitfühlende Worte.
2. Finde Gemeinschaft – erinnere dich in schwierigen Situationen daran, dass Leiden und Schwierigkeiten im Leben etwas Normales sind und du nicht allein in deinen Herausforderungen bist. Bitte deine Mitmenschen um Hilfe und tausche dich über deine Probleme aus.
3. Übe dich in der Achtsamkeit – es gibt verschiedene praktische Übungen, wie Atemübungen, Meditationen oder auch einfach alltägliche Achtsamkeitsmomente mit denen du dein „achtsam sein“ üben kannst. Wenn wir achtsamer sind, werden wir auch mitfühlender mit uns selbst. Mehr zum Thema Achtsamkeit findest du hier.
4. Fehler und Unvollkommenheiten akzeptieren – suche dir ein Thema, einen Fehler oder vermeintliche Unvollkommenheit, die dich beschäftigt. Setze dich bewusst hin und schreibe dazu auf:
- Was stört mich eigentlich daran?
- Was würdest du zu einem Freund/einer Freundin sagen, wenn er/sie diesen Fehler gemacht hätte oder sich in dieser Sache „unvollkommen“ fühlt?
- Lies das, was du an deinen Freund oder deine Freundin geschrieben hast durch und stelle dir vor, jemand hätte diese Worte an dich gerichtet.
5. Praktiziere Meditationen – es gibt einige Meditationen, die speziell auf Selbstmitgefühl ausgerichtet sind, wie zum Beispiel die sogenannten Loving-Kindness Meditationen. Solche findest du in vielen Angeboten auf entsprechenden Plattformen, wie YouTube, InsightTimer oder Headspace. Studien haben gezeigt, dass man durch solche Übungen sein Selbstmitgefühl stärken kann4.
Probiere am besten verschiedene dieser Tipps und Übungen aus, um für dich herauszufinden, was am besten für dich passt und funktioniert.
You have been criticizing yourself for years, and it hasn’t worked. Try approving of yourself and see what happens.
Louise Hay
Quellen:
- Neff, K. D. (2003). The development and validation of a scale to measure self-compassion. Self and Identity, 2(3), 223–250. https://doi.org/10.1080/15298860309027 ↩︎
- Dodson, S. J., & Heng, Y. T. (2021). Self‐compassion in organizations: A review and future research agenda. Journal of Organizational Behavior, 43(2), 168–196. https://doi.org/10.1002/job.2556 ↩︎
- Waldron, A. L., & Ebbeck, V. (2015). The relationship of mindfulness and self-compassion to desired wildland fire leadership. International Journal of Wildland Fire, 24(2), 201–211. https://doi.org/10.1071/WF13212 ↩︎
- Reilly, E. B., & Stuyvenberg, C. L. (2022). A meta-analysis of loving-kindness meditations on self-compassion. Mindfulness, 14(10), 2299–2310. https://doi.org/10.1007/s12671-022-01972-x ↩︎